von Matthias Judt

Unmittelbare Folge der Besetzung der ostdeutschen Länder durch die Rote Armee waren sogenannte Trophäenaktionen und eine Welle von Demontagen. Das bedeutete, dass – zum Teil auch völlig willkürlich und keineswegs in Abstimmung mit zentralen Befehlsebenen der Besatzungsmacht – Maschinen und Anlagen, Kunstwerke und vieles andere mehr konfisziert wurden.

Beides musste – in Verbindung mit den ohnehin vorhandenen Kriegszerstörungen – die wirtschaftliche Situation der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) noch verschärfen. Bereits Ende 1945 setzte jedoch ein Wandel in der sowjetischen Reparationspolitik ein. Statt Maschinen und Anlagen zu demontieren, sollten Wiedergutmachungsleistungen aus der SBZ als Lieferungen aus der laufenden Produktion erfolgen. Um diese für sich auch sicherzustellen, wurden ab Ende 1945 deutsche Unternehmen in das Eigentum der UdSSR übernommen, genauer gesagt: ihre frühere Beschlagnahme manifestiert. Es entstanden „Sowjetische Aktiengesellschaften“ (SAG), die strikt nach dem deutschen Handelsgesetzbuch agierten, deren Entstehen aber auf besagte Beschlagnahme zurückzuführen war. (1)

Exkurs: Der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), Marshall Georgi Schukow führte Mitte November 1945 zu den Demontagen aus:

„Es ist […] die Frage angeschnitten wegen der Demontierungen, die seitens der Roten Armee und der Alliierten stattfinden. Der Hitlerfaschismus hat der Welt und insbesondere Russland so tiefe Wunden geschlagen, dass dem deutschen Volk genommen werden muss, noch einmal einen Krieg vom Zaune zu brechen. […] wenn wir deswegen diejenigen Industrien abbauen, die für den Krieg benutzt wurden oder werden können, so ist das einerseits erforderlich zur Wiedergutmachung und zur Verhinderung eines zukünftigen Krieges. […] Um Ihnen zu helfen, werden wir trotzdem mehrere 100 Betriebe in der Sowjetischen Besatzungszone errichten, um Arbeit und Existenzmöglichkeiten zu schaffen, allerdings werden diese unter unserer Leitung arbeiten müssen.“ (2)

Auf diese Weise gelangten auch die Bleichert-Werke im Sommer 1946 in sowjetischen Besitz und wurden als „Bleichert Transportanlagen Fabrik SAG Leipzig N 22“ fortgeführt. 1950 wurde die SAG Bleichert der SAG „Transmasch“ zugeordnet. Hier wurden Kabel- und Autokrane, Verladebrücken, Frässchaufler und Elektrokarren, bald auch wieder Drahtseilbahnen hergestellt. (3)

Die Produktionspalette bei Bleichert wurde auf die Bedürfnisse der sowjetischen Volkswirtschaft ausgerichtet. Die Kapazitäten vor Ort wurden dafür deutlich erweitert. So wurde ab 1948 mit dem Autodrehkran (ADK) 3 „Bleichert“ einer der ersten dieselelektrischen Kräne der Nachkriegszeit hergestellt. Er konnte drei Tonnen heben und wurde zunächst als Reparationsleistung als Bausatz in die Sowjetunion geliefert. Dort wurde er auf verschiedene LKW-Typen sowjetischer Bauart, darunter solcher die seit 1942 in amerikanischer Lizenz in der UdSSR produziert wurden, montiert (Abbildungen siehe: http://www.autogallery.org.ru/gstuder.htm). (4)

Ab 1953 wurden sowohl Raupenkräne „Mitschurin“ mit dem gleichen Oberbau wie beim ADK-3 hergestellt als auch für die militärische Nutzung Autodrehkräne auf geländegängigen LKW montiert. (5)

1950 hatte das Unternehmen mehr als 4.000 Beschäftigte (6), nach anderen Angaben stieg die Zahl bis 1953 sogar auf über 6.000. (7)

Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953, bei dem die SAG Bleichert ein Schwerpunkt der Streiks in der Stadt Leipzig wurde (8), ging das Unternehmen als eine der letzten SAG-Betriebe mit Wirkung vom 1. Januar 1954 in das Eigentum der DDR über. (9)

(1) vgl. Matthias Judt, „Aufstieg und Niedergang der ‚Trabi-Wirtschaft’“, in ders. (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse, Berlin 1997 (und Bonn 1998), S. 87 – 164, hier S. 89.
(2) „Niederschrift des Präsidenten der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, Wilhelm Höcker, über die Rechenschaftslegung der Präsidenten und Vizepräsidenten der Landes- und Provinzialverwaltungen vor dem obersten Chef der SMAD, Marschall Georgi K. Schukow am 13. und 14. November 1945“, in Berichte der Landes- und Provinzialverwaltungen zur antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, Berlin (Ost) 1989, S. 139f.
(3) vgl. André Winternitz, „Drahtseilbahnfabrik Adolf Bleichert“ (im Folgenden „Winternitz 2012“), in: http://www.rottenplaces.de/main/drahtseilbahnwerk-adolf-bleichert-3370/. Vgl. auch https://archive.is/20120730003014/http://www.ercl.net/2008-10-11b/album/slides/0062.html; https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Bleichert_%26_Co.
(5) vgl. Ralf Christian Kunkel: DDR Baumaschinen. 1945–1990. 2. Auflage, Stuttgart 2010, wiedergegeben nach https://de.wikipedia.org/wiki/Autodrehkran_Bleichert.
(6) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Autodrehkran_Bleichert.
(7) vgl. Winternitz 2012.
(8) vgl. http://www.spiegel.de/fotostrecke/veb-fabrikruinen-verbluehende-landschaften-fotostrecke-110288.html
Siehe gesonderten Artikel von Matthias Judt, „Der 17. Juni 1953 bei der SAG Bleichert und seine Folgen“ (Link erstellen oder im Text Link setzen); gekürzte Fassung davon in Bürgerverein 2017, S. 55-58.
(9) vgl. Winternitz 2012. Winternitz gibt als Rückgabedatum das Jahr 1953 an. In diesem Jahr wurde die Rückgabe aber nur angekündigt, jedoch erst mit dem Jahreswechsel vollzogen.