Von Steffen Poser, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

»Wir stehen an einer Stätte, die ein großer und edler Mann betrat … Unser großer Schiller, … er steht uns in heiliger und unnahbarer Ferne; … Aber an dieser Stelle …, die alle an das gewöhnliche Leben erinnern, fühlen wir es lebhafter als je: daß auch Schiller Mensch war; wie wir; … hier ist er aus- und eingewandert, hier hat er sich erfreut …, in diesen freundlichen Räumen hat er dieselbe Luft geathmet, die uns erquickt, in unserm traulichen Rosenthale haben ihn dieselben Schattengänge gekühlt, die uns erfreuen.«

Treffender, als es Robert Blum anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel an Schillers kurzzeitigem Quartier in Gohlis im November 1841 tat, kann man kaum zusammenfassen, warum auch heute noch im mittlerweile Schillerhaus geheißenen alten Bauernhaus in der Menckestraße Gebäude und Ausstellung an den Sommeraufenthalt des Dichters im Jahre 1785 erinnern.

Dieses Jahr hatte für den späteren Dichterfürsten genauso bedrückend begonnen, wie das alte geendet hatte. Aus dem Job als Militärarzt, den er hasste, hatte er sich davongeschlichen, aus dem nächsten, den er wirklich mochte, war er rausgeflogen. Die Behörden waren ihm wegen Fahnenflucht auf den Fersen, der Geldbeutel war flach und zu allem Überfluss plagte er sich mit einer Malariaerkrankung. Kurzum, die Welt war schlecht und das Leben, kaum dass es richtig begonnen hatte, schien aschgrau.

Und dann, von jetzt auf gleich, änderte sich alles. Schiller nahm eine überraschende Einladung von zwei ihm bis dahin vollkommen unbekannten Pärchen an, die ihn, voll der Bewunderung für seine ersten schriftstellerischen Erfolge nach Leipzig baten. 1785 zog er für einige Wochen im Haus des Bauern Schneider als Sommergast ein. Dort erlebte er beglückende Nähe, bedingungslose Freundschaft und ehrliche Bewunderung, im nahen großstädtischen Leipzig eine verheißungsvolle Ahnung der weiten Welt. Hier sah er sein eigenes Stück im Theater, machte die Bekanntschaft zahlreicher Künstler, gewann neue Zuversicht und verlor seine Schulden. Plötzlich schien alles eitel Sonnenschein und im Hochgefühl des Glücks wuchsen in ihm Verse, die einmal seine bekanntesten sein sollten – das Lied »An die Freude«.
Rund 50 Jahre später ist es der Leipziger Theatersekretär und Homo Politicus Robert Blum, der Schillers einstige Sommerfrische zu wenig beachtet findet. Blum nimmt den „kräftigste(n) Kämpfer für … Wahrheit, Recht und Freiheit“ beim Wort und setzt ihn als subversive Waffe gegen politische Bevormundung, Despotie und Zensur ein. Man beschäftigt sich im Kreise Gleichgesinnter mit dem Werk eines der größten deutschen Dichter und ruft doch mit dessen Worten von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit laut in den abgestandenen Mief der deutschen Kleinstaaten nach dem Öffnen der Fenster.

Schiller und sein Werk trifft auch nach Jahrzehnten noch den Nerv der Zeit bei jenen, die am politischen Prozess teilhaben wollen. Man zitiert den Dichter und münzt ihn auf die Gegenwart. Wer je in der DDR den trotzigen Applaus nach Posas Gedankenfreiheits-Forderung bei einer Aufführung des Don Karlos erlebte, weiß, was gemeint ist. Man macht einen über siebzigjährigen Gohliser ausfindig, der des Dichters einstige Sommerwohnung identifiziert, die man 1841 mit einer für das schmalbrüstige Häuschen etwas überdimensionierten Ehrenpforte samt Eisengusstafel schmückt. Die erklärt, er habe hier nicht nur gewohnt, nein, sein populärstes Werk, das (bitte im Fettdruck) Lied sei hier entstanden. Später disputiert man darüber. Hat er es hier nur im Herzen getragen, allenfalls knapp skizziert, vielleicht zunächst im Freundeskreis im sommerlichen Schatten alter Linden nur einzelne Verse gesungen und das Ganze erst jenseits Gohlis‘ vollendet? Heute Nebensächlichkeit, damals an diesem Ort unverzichtbar für die Identifikation mit Mann und Werk.

Von nun an gibt es alljährlich Schillerfeste, Wettbewerbe für Schüler und Ausstellungen von »Schiller-Reliquien«. 20 Taler lässt sich der Schillerverein die Miete für die beiden windschiefen Stuben kosten, in denen der Verehrte einst logierte und als 1856 der Abbruch des ganzen Hauses droht, erwirbt er kurzerhand Haus und Grundstück und setzt es instand. Fast einhundert Jahre später wird der Schillerverein aufgelöst und die Stadt übernimmt das Gebäude. Unsachgemäßer Umgang mit der Bausubstanz und verwalteter Mangel in der DDR lassen Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts erneut um den Fortbestand des Hauses fürchten, den eine grundhafte Sanierung 1998 sichern kann. Nachvollziehbar, dass sich im Laufe von mehr als anderthalb Jahrhunderten Gedenkstättenexistenz auch mehrfach die Art und Weise wandelt, mit der Friedrich Schiller an diesem Ort dem Publikum begegnen soll. Vom Freiheitskämpfer, über den entrückten Dichterfürsten zum Revolutionär ist da Vieles dabei. Vielleicht ist es heute an der rechten Zeit am rechten Ort, in der neuen Ausstellung den Wortgewaltigen als Menschen kennenzulernen, ehe er vollständig zu Marmor erstarrt.