Im Februar 2021 initiierte das Budde-Haus gemeinsam mit dem Leipziger Literaturverein Arbeitskreis für Vergleichende Mythologie e. V. einen „Grusel-Wusel-Geschichtenwettbewerb“. Dabei waren Kinder, Jugendliche und Erwachsene aufgerufen, Grusel-geschichten für Kinder zu schreiben.
Zum Halloweentag im Oktober wurden einige, der insgesamt 135 eingesandten Geschichten im Rahmen des Grusel-Wusel-Festes auf dem Budde-Haus-Gelände vorgelesen. Zudem wurden unter allen Einsendungen Buchpreise – gespendet vom Leipziger Verlag edition Hamouda – verlost. Und eine der Geschichten wurde sogar ausgewählt, hier im „Gohlis-Forum“ noch mehr Leser*innen das Fürchten zu lehren. Einen großen Dank für den Abdruck der Geschichte an den Bürgerverein Gohlis.
                   
Übrigens: Auch 2022 wird es einen Grusel-Wusel-Geschichtenwettbewerb geben. Mehr dazu unter www.budde-haus.de. (Jürgen Schrödl, Leiter Budde-Haus)


Die eisige Stimme
von Emma R. (13 Jahre, Leipzig)

Ich stand in meinem Zimmer vor dem großen, schwarzen Kleiderschrank. Morgen war wieder Schule. Ich hatte mich echt auf die Sommerferien gefreut, aber diese gingen viel zu schnell um. Nach etwa zehn Minuten hatte ich meine schwarze Jeans und den roten Oversize-Pulli meiner Mutter an. Ich ging ins Bad und machte mich fertig.

Ich war mal wieder alleine zu Hause, da meine Mutter immer früh auf Arbeit musste. Mein Vater hat uns verlassen als ich gerade mal meinen ersten Milchzahn verloren hatte. Jetzt war ich schon 14 und ging in die 8. Klasse mit meiner besten Freundin Lissa. Die Uhr zeigte 07:27. Ich schnappte mir meinen schwarzen Rucksack und schmiss die Tür hinter mir zu.

Die warme Sommerluft wehte durch meine Haare, als ich Lissa bemerkte. Diese stand am Ende der Straße und wartete auf den Bus. Wie üblich. Ich rannte die holprige alte Straße runter auf Lissa zu. Etwas flüsterte in mein Ohr: „Ich werde dich kriegen … Blut wird fließen … Ich werde dich kriegen …“. Ich blieb wie angewurzelt stehen und schaute mich zu allen Seiten um. Da war aber nichts. Nur die alten Häuser und Straßen. Ein Schauer lief mir den Rücken hinab. „Floer! Wo warst du denn? Ich wollte auf dich warten aber … Oh nein, der Bus kommt! Schnell!“. Lissa rannte auf mich zu und fiel mir in die Arme. Sie zerrte mich hinter sich her und wir bekamen den Bus noch gerade so.

Ich war noch immer starr und mir wurde abwechselnd heiß und kalt. „Floer ist alles okay? Du siehst so blass um die Nase aus.“. Lissa schaute mich prüfend an. Ich wollte ihr gerade von der eisigen Stimme erzählen, doch ich wollte ihr keine Angst machen oder sie verwirren. „Ähm, ja …, ja alles gut …“, stotterte ich sie an. Lissa schaute mich komisch an und wollte gerade den Mund öffnen, als sich die Bustüren öffneten und wir raus hasteten.

Unsere Schule war alt und groß. Viele Lehrer gab es nicht, aber auch nicht viele Schüler. Wir durchschritten den langen, dunklen Flur. Er war kalt und feucht. Da wir etwas spät dran waren, waren wir die einzigen und machten zügige Schritte. Wir mussten in die 2. Etage zum Deutschunterricht. Wir hatten gerade die Treppe erreicht, als die eisige Stimme wieder mein Körper erstarren lies: „Ich bin bald da … Blut wird fließen … Ich bin bald da Floer …“. Ich bekam kaum noch Luft und mir wurde eisig kalt. „Floer komm. Floer? Was ist los? Warum siehst du wieder so blass und erfroren aus? Bist du krank? Soll ich einen Lehrer holen?“. Lissa rannte zurück zu mir. Sie war schon fast oben gewesen. „W … Warte! Hast du das nicht gehört…?“, fragte ich sie zitternd. Lissa schaute mich verwundert an: „Was nicht gehört? Floer hier war nichts … “. „Doch! Diese Stimme …“ ich war komplett verwirrt, doch als ich Lissa ins Gesicht schaute merkte ich, dass es ihr nicht anders ging: „Ähm Floer … ich versichere dir, hier war nichts! Ich bring dich lieber schnell ins Krankenzimmer!“.

Ich lies mich von Lissa ins Krankenzimmer ziehen. Sie verabschiedete sich von mir und huschte schnell in die Klasse. Die Krankenschwester kam ins Zimmer gestolpert und schaute mich mitleidig an: „Ach, herrje … Du bist ja eiskalt mein Mädchen! Ich rufe deine Mutter an. Einen Augenblick.“. Sie verschwand wieder im Zimmer nebenan und kam ein paar Minuten später wieder. „Du sollst nach Hause und dich ausruhen. Deine Mutter kommt heute Abend!“. Sie begleitete mich noch bis zum Schultor und ich bedankte mich bei ihr. Ich wartete auf den Bus und stieg ein. Der Bus war leer, da alle in der Schule oder auf Arbeit waren. Ich setzte mich nach ganz hinten, so wie es Lissa und ich immer taten.

Ich warte in deinem Haus … Blut wird fließen … Ich warte hier auf dich Floer …“. Ich erschrak und schaute mich um. Wieder die Stimme von heute Morgen. Wieder niemand zu sehen. Vielleicht war das ja auch alles nur Einbildung? Lissa schien nichts gehört zu haben. Aber es fühlte sich so nah und echt an. Mein Körper war wieder starr und kalt. Ich schnappte mir meinen Rucksack und hastete aus dem Bus hinaus auf die Straße.

Natürlich hatte ich jetzt Angst das Haus zu betreten, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich schloss die Tür langsam auf und schaute vorsichtig in die dunkle Wohnung hinein. Nichts. Ich knipste das Licht an. Nichts. Ich ging hoch in mein Zimmer. Nichts. Mit pochendem Herzen ließ ich mich auf mein Bett fallen und verbrachte den restlichen Nachmittag damit, meine Serie weiter zu schauen und zu lesen.

Ich verließ nie mein Zimmer. Nur einmal war ich kurz runtergegangen und hatte Feuer im Kamin angemacht. Als mein Blick auf die Uhr fiel, zeigte sie 21:30 an. Meine Mutter müsste jeden Augenblick kommen. Ich wartete den ganzen Abend auf sie. 22:00. 23:00. 23:30. Ich gab auf und wollte mich gerade ins Bett legen, als mir einfiel, dass ich noch den Kamin ausmachen musste. Also ging ich runter und schaute ins Feuer. Die Flammen schienen nach mir zu greifen und ich schritt zurück. Ich konnte meinen Blick nicht vom Feuer nehmen. Es war, als würde ich unter einem Bann des Feuers stehen. Ich spiegelte mich im Feuer wider. Ich sah mich, wie ich dastand. Doch ich sah auch noch etwas Anderes. Etwas, das von hinten auf mich zukam. Ich schnellte herum und schrie. Das letzte was ich hörte war die eisige Stimme: „HAB DICH!“.