von Michael Wagner

Durch einen Pressebericht wurde im September 2013 die Absicht der muslimischen Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft (AMJ) bekannt, in Gohlis eine Moschee zu errichten. Die Reaktionen waren heftig. Eine anonyme Facebook-Gruppe „Gohlis sagt nein“ heizte die Stimmung mit antimuslimischen Ressentiments an. Aus der Absicht, ein Gotteshaus für maximal 100 Personen ausschließlich privat zu finanzieren, wurde die „Islamisierung“ von Gohlis herbeifantasiert. Schnell entpuppte sich „Gohlis sagt nein“ als äußerst rechte, zumindest teilweise der NPD nahestehende Gruppierung. Das gesellschaftliche Klima in Gohlis wurde deutlich rauer.

In Reaktion darauf gründete sich im Herbst 2013 die Initiative „Dialoge für Gohlis“. In „Dialoge…“ engagierten sich von Anfang an Mitglieder des Bürgervereins Gohlis, aber auch von politischen Parteien und Kirchgemeinden.

„Dialoge für Gohlis“ wollte die Debatte um die Moschee versachlichen und einen Raum für kritische Fragen bieten, hat sich dabei aber von Anfang an zur Religionsfreiheit bekannt, einschließlich des Rechtes der Ahmadiyya-Gemeinde zum Moscheebau. Dem dienten unsere Aktivitäten, von der Verteilung mehrerer tausend Flyer, der Organisation einer Kundgebung gegen einen NPD-Aufmarsch im November 2013 bis zur Unterstützung der mehrfachen Aufführung des Theaterstücks „Moschee de“ von Kolja Mensing und Robert Thalheim in einer Inszenierung von David Perlbach in der Friedenskirche im Mai 2015. Zusammen mit der Ahmadiyya-Gemeinde wurde der Entwurf des Moscheegebäudes in den Räumen des Magistralenmanagements der Georg-Schumann-Straße öffentlich ausgestellt.

„Dialoge für Gohlis“ gab zugleich den Anstoß für die Etablierung des interreligiösen Dialoges im Stadtbezirk. Dieser umfasste bald die christlichen Gemeinden des Leipziger Nordens, die Ahmadiyya, die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig sowie die Leipziger Bahá`í-Gemeinde. Nicht der Austausch über theologische Differenzen steht im Mittelpunkt, sondern die Begegnung, dass Sich-Kennen-Lernen von Menschen aus den verschiedenen Religionen. Wir möchten zeigen, dass religiöse Vielfalt Teil unserer Realität in Gohlis ist, das sie nicht zur Verfeindung von Menschen führen muss, sondern das Leben bereichern kann. Am 11. September 2016 fand vor der Friedenskirche ein interreligiöses Dankfest statt, das seitdem jedes Jahr mit großem Anklang durchgeführt wird. Ergänzt wurde dies in den letzten Jahren durch religiöse Mahlfeiern, organisiert im Dreiklang aus christlichen, jüdischen und muslimischen Gläubigen.

Ein weiteres Thema, bei dem der Bürgerverein öffentlich Farbe bekennt, ist die Aufnahme von Geflüchteten. In Kenntnis der Absicht des Freistaates, in der Max-Liebermann-Straße eine Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) für Asylbewerber*innen mit einer Kapazität von 700 Plätzen zu eröffnen, entstand am 6. Oktober 2014 die Initiative Weltoffenes Gohlis, die in der Folgezeit an die Stelle von „Dialoge für Gohlis“ trat. „Weltoffenes Gohlis“ will Geflüchtete unterstützen, demokratische Werte in der Gesellschaft stärken und rechtsradikalen Aktivitäten entgegentreten. Der Kontakt von Menschen unterschiedlicher Herkunft soll rassistischen Pauschalierungen den Nährboden entziehen. Initiator der Gründung war erneut der Bürgerverein Gohlis. Ihm schlossen sich die Kirchgemeinden im Leipziger Norden, die Ahmadiyya Muslim Jamaat, die lokalen Gliederungen von SPD, die LINKE und Bündnis 90/die GRÜNEN sowie viele Einzelpersonen an. Dass WoG von Anfang an auch ein Netzwerk verschiedener Organisationen war, trug zur kontinuierlichen Arbeit der Initiative in den letzten 8 Jahren bei.

Solidarität mit Geflüchteten praktizieren wir durch das im Mai 2017 gegründete Nordcafé im Keller der evangelisch-methodistischen Bethesda-Gemeinde in der Blumenstraße 74. Jeden Dienstag treffen sich hier von 14 bis 16 Uhr Einheimische, Hinzugezogene, Menschen aus den kommunalen Flüchtlingsunterkünften und auch aus der EAE. Wir sind stolz darauf, dass das Nordcafé mittlerweile zu einer Institution im Leipziger Norden wurde und die Corona-bedingten Einschränkungen seines Betriebes gut überstanden hat.

Viel Spaß hatten alle Beteiligten an den über viele Jahre hinweg organisierten interkulturellen Fußballturnieren im Stadion des Friedens. Zusammen mit dem Roten Stern Leipzig haben jeweils bis zu 10 spontan gebildete Fußballmannschaften, größtenteils aus Asylbewerbern bestehend, miteinander gekickt. Selbst kriegerische Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Herkunftsländern haben niemals das gegenseitige friedliche Kräftemessen gestört.

2019 und 2020 haben wir gemeinsam mit anderen Initiativen vor der Erstaufnahmeeinrichtung Begegnungsfeste mit den Geflüchteten durchgeführt, um Abwechslung im eher tristen Alltag zu schaffen und eine Begegnung mit den Anwohner*innen zu ermöglichen.

Weitere Aktivitäten waren die Organisation öffentlicher Kolloquien zu den Themen Migration und interreligiöser Dialog. Hierbei wurde der Bürgerverein Gohlis über mehrere Jahre hinweg durch Mittel aus dem Landesprogramm Weltoffenes Sachsen unterstützt. Dazu kommen regelmäßige Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen im Rahmen Internationalen Wochen gegen Rassismus sowie während der Interkulturellen Woche. Dies hat zur gesellschaftlichen Vernetzung der Menschen und Initiativen vor Ort beigetragen, deren Ziel ein solidarisches Zusammenleben aller Menschen ist. Auch dem ist zu verdanken, dass Gohlis kein leichtes Pflaster für eine rechtsradikale Mobilisierung wurde.

„Weltoffenes Gohlis“ ist nicht unpolitisch. Bei Angriffen auf die demokratische Grundordnung sind wir Teil des gewaltfreien Gegenprotestes. Griffen Aufläufe von „Legida“ oder anderen rechtsradikalen Bündnissen auf den Leipziger Norden über, hat WoG auch selbst Gegenkundgebungen angemeldet. Und selbstverständlich melden wir uns öffentlich zu Wort, wenn Bekundungen des Antisemitismus das gesellschaftliche Klima vergiften.

Neues Thema wurde in den letzten Wochen die Solidarität mit den im Zuge des russischen Angriffskrieges nach Leipzig geflüchteten Ukrainer*innen. „Weltoffenes Gohlis“ hat sich an vielen entsprechenden Aktivitäten beteiligt, beispielsweise an einem Solidaritätskonzert am 2. April vor dem Gohliser Schlösschen.

Mein Fazit des mittlerweile 9-jährigen Engagements des Bürgervereins für religiöse und kulturelle Vielfalt im Leipziger Norden ist, dass es mit viel Engagement gelungen ist, Menschen zum demokratischen und humanitären Engagement zu ermutigen, zu vernetzen sowie durch Dialog das friedliche Miteinander zu fördern.