Von Wolfgang Leyn

Siegfried Thiele, der Doyen unter den Leipziger Komponisten, lebt seit langem in Gohlis. Am 28. März feiert er 85. Geburtstag. Wir gratulieren und wünschen Gesundheit, Lebensfreude und Schaffenskraft.

„Geradlinigkeit und Unbestechlichkeit sind Eigenschaften des Schaffens von Siegfried Thiele. Vordergründiges oder modisch Aufgeputztes verschiedener ästhetischer Richtungen entstand während der letzten 40 Jahre Zeit zuhauf in seinem Umfeld. Von derlei Erscheinungen ließ sich Thiele nie beeinflussen.“ Das schreibt Werner Wolf 1999 über den Komponisten, nachzulesen auf der Website des Musikverlages Breitkopf & Härtel.

1981 wird das Neue Gewandhaus in Leipzig eröffnet – mit Beethovens Neunter und Siegfried Thieles „Gesängen an die Sonne“ für Alt-und Tenorsolo, Orgel, Chor und Orchester. Gewandhauskapellmeister Kurt Masur hat das Werk in Auftrag gegeben und setzt die Aufführung gegen Einwände des SED-Zentralkomitees durch. Dort missfallen die Texte von Goethe, Schiller und Hölderlin, die der Komponist ausgewählt hat.

1934 wird Siegfried Thiele als Sohn eines Zimmermanns und einer Strumpfwirkerin in Chemnitz geboren. Die Eltern erkennen sein Talent und ermöglichen ihm Klavierunterricht. Schon als Zwölfjähriger erfindet er eigene Melodien. 1953-58 studiert er in Leipzig an der Hochschule für Musik Komposition, Dirigieren und Klavier, arbeitet danach als Musikschullehrer. Es folgt ein Studium in der Meisterklasse des Komponisten Leo Spies an der Akademie der Künste. 1962 wird Thiele Dozent an der Musikhochschule in Leipzig.

1963 gründet er das Leipziger Jugendsinfonieorchester. Im selben Jahr wird sein Klavierkonzert durch Annerose Schmidt uraufgeführt. Von da an spielen die bedeutendsten Orchester der DDR seine Kompositionen. Gleichzeitig schreibt Thiele liturgische Werke für die Christengemeinschaft. 1984 wird er zum Professor berufen. Der Komponist Bernd Franke, einer seiner Schüler, erinnert sich an einen „sehr professionellen Unterricht auf höchstem Niveau … heute würde man sagen: alte Schule!“.

Am 1. Oktober 1990, drei Tage vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, wird Siegfried Thiele zum Rektor der Leipziger Musikhochschule gewählt (und 1994 für weitere drei Jahre). In seine Amtszeit fallen einschneidende Veränderungen: die Fusion von Musik- und Theaterhochschule, die Wiedergründung des Kirchenmusikinstituts, die Einführung neuer Studiengänge, Prüfungs- und Studienordnungen, der Neubau des kriegszerstörten Konzertsaales. „Ein Glücksfall für die Hochschule“, resümiert der damalige Prorektor Johannes Forner, „die Integrität des Komponisten war auch die des Rektors“.

Das Leipziger Musikleben wusste Siegfried Thiele immer zu schätzen. Umso mehr bedauert der 84-Jährige, dass ihn Konzertbesuche zunehmend anstrengen. Nach wie vor spielt er täglich Klavier, liest viel und geht im nahegelegenen Rosental spazieren.

Doch das Komponieren hat er nicht aufgegeben. Im November 2018 wurde in der Gohliser Versöhnungskirche Thieles Kantate „Von Kriegen, von Gott und vom Frieden“ uraufgeführt, ein Auftragswerk von Martin Krumbiegels Kammerchor „Vox humana“. Peter Korfmacher schwärmte in seiner LVZ-Rezension vom „kostbar ökonomischen Altersstil, dem jede emotionale Exaltiertheit fremd ist… Lautere Schönheit und kristalline Klarheit sind die wichtigsten Parameter von Thieles Musik“.