(Gohlis Forum, Heft 1/2020, Seite 8)

Liebe Leserinnen und Leser unseres Gohlis Forums, wir haben uns entschieden, ihnen in diesem und im Folgeheft Leseproben aus der Reiseschilderung des Herrn Dr. Thomas Purcz, welche uns vom Autor zur Verfügung gestellt wurde, anzubieten. Wir hoffen, damit ihr Interesse zu wecken auf den Gesamtbericht, den Sie ab April 2020 auf der Homepage des Bürgervereins Leipzig-Gohlis lesen können.

1. Leseprobe aus: Dr. Thomas Purcz, „Butterbrot und Datscha – Mit dem Fahrrad nicht nur durch Russland“

So nutzte ich den teils kräftigen Rückenwind, der mir zu einem Schnitt von 22 – 23 km/h verhalf, und fuhr bis Kupiskis. Das erste Gebäude am Ortseingang war eine einsame Tankstelle. Eigentlich eine für mich völlig unbedeutende Versorgungseinrichtung, hatte ich doch die umweltschonende Fortbewegungsform gewählt und war damit unabhängig von Benzin oder Diesel. Und doch sind Tankstellen auf so einer Tour von großer Wichtigkeit. Die Toilettennutzung, das Auffüllen der Trinkflaschen, ein kleiner Einkauf, ein kurzer Imbiss, das Aufladen der Geräteakkus, ein Schwatz mit dem Servicepersonal – alles möglich und sehr hilfreich. Oft noch werde ich diese Einrichtungen verlassen und denken: danke Tanke. Nicht nur für mich war der Stopp eine willkommene Abwechslung, auch die Tankwartin schien erfreut, ihre Strickarbeiten für ein paar Minuten unterbrechen zu können. Ein Gespräch in deutscher Sprache, das hatte sie schon lange nicht mehr. Sie klagte dann auch darüber, dass sie schon wieder viele Wörter vergessen hätte nach ihrem Au-pair – Einsatz in Frankfurt. Es war eine schöne Zeit in Deutschland, aber irgendwann war das Heimweh doch stärker. Nun wartet sie täglich auf durstige Autos und hungrige Fahrer. Gut geht es ihr bei dem sehr überschaubaren Andrang nicht, aber sie war froh, überhaupt einen Job in dem kleinen Städtchen gefunden zu haben. Ein Hotel würde es aber geben, immerhin eine Option sollte es mit der Zeltaufstellung nicht klappen. Die wäre eigentlich schon hinter der Tankstelle möglich gewesen, eine große Wiese mit einem Baum und etwas schützendem Gebüsch, so schlecht fühlte sich die Stelle nicht an. Und sie hatte mit der Nähe zu den Sanitäranlagen der Tanke einen wichtigen Punkt meines Anforderungsprofils erfüllt. Aber der Platz war für alle zugänglich. Ob Mensch, ob Tier, jeder konnte hin und schaun, wer ist wohl im Zelte drin. Deshalb fuhr ich auch weiter nach dem Motto: Ehe man sich für eine Nacht so bindet, prüfe, ob sich nicht noch etwas besseres findet. Ich sollte nicht enttäuscht werden. Schnell sah ich eine Einfamilienhaussiedlung mit teils schicken Wohnhäusern und gepflegten Gärten. Nun hatte ich bereits im letzten Jahr erfahren, dass je schöner, größer, moderner die Häuser, je saftiger der kurz geschorene Rasen, je gepflegter und farbenprächtiger die angepflanzten Blumenrabatten, desto geringer die Chancen ein Plätzchen für das Zelt zu bekommen. Die weniger gestylten Häuser mit Gärten, wo auch das Unkraut noch eine faire Möglichkeit der Entfaltung bekam und die Bewohner sich vielleicht gerade im Freien aufhalten, das ist mein Beuteschema. Ein Gespräch über den Gartenzaun zu beginnen finde ich persönlich besser, als die an der Haustür klingelnde Variante. Zuerst ist es von Vorteil abzuklären, in welcher Sprache die eigene kurze Vorstellung und die Wunschäußerung für den Hausbesitzer verständlich wird. Ein Mix aus Englisch und Deutsch sollte in diesem Fall helfen, die Frau des Hauses war Lehrerin und hatte einige Zeit in Deutschland gelebt. So waren die wesentlichsten Dinge schnell geklärt, Zeltaufbau im Garten, Wasser- und Toilettennutzung im Haus. Sie und ihre Familie fanden meine Unternehmung spannend, so dass wir später bei einer Tasse Tee und Gebäck eine, manuell unterstützte, nette Unterhaltung hatten. Wenn das Eintippen unbekannter Wörter in die Übersetzerfunktion des Smartphones kein sinnvolles Ergebnis hervorbrachte, blieb immer noch die Zeichensprache.

Die Nacht war warm und trocken, der Schlaf nach reichlich 160 Kilometern redlich verdient und erholsam. Generell habe ich bei so einer Tour mit den täglich wechselnden Schlafplätzen kein Problem. Für etwa 1 Million Menschen, die laut einer aktuellen Krankenkassenumfrage in Deutschland an permanenter Schlaflosigkeit leiden, sicherlich ein beneidenswerter Zustand. Das Zelt war am Morgen schnell abgebaut, zusammen mit Schlafsack und Isomatte im Packsack verstaut und auf dem Fahrrad befestigt. Die vier seitlichen Radtaschen belasse ich während der Nacht ziemlich bedenkenlos am Rad. Auch ein Vorteil eines umzäunten, abgeschlossenen Grundstücks. Während in einer festen Unterkunft immer sorgfältig jede Ecke nach noch nicht eingepackten Dingen abgesucht werden muss, ist das Risiko, nach einer Zeltnacht etwas zu vergessen, deutlich geringer. Es ging weiter Richtung Lettland, bis zur Grenze waren noch etwa 85 Kilometer zu fahren. Wieder lagen kaum Ortschaften an der Strecke und hatte ich dann doch mal eine erreicht, wurde meine Frage nach einem Restaurant oder Café mit dem Ausspruch „wir sind ein Dorf“ lächelnd beantwortet. Die innereuropäische Grenzüberfahrt verlief fast unbemerkt.